Benefiz 2015. Einladungskarte. Adressbüchlein von Johanna Charlotte Carolina Röell
Benefizveranstaltung am 4.12.2015 in der Französischen Botschaft in Berlin
Das Adressbüchlein der Johanna Charlotte Carolina Röell
vorgestellt von Dr. Peter Plieninger:
Adressbuch
Auf der Einladungskarte zur heutigen Veranstaltung sehen Sie ein Adressbuch. Es ist mit 3,7 x 4 Zentimetern das bisher kleinste Objekt, für dessen Restauration wir um Spenden bitten wollen. Ich habe einmal aus dem gleichen Material das Format ausgeschnitten, um Ihnen die Größe zu demonstrieren.
Der Einband ist aus schwarzem Schleifpapier, das mit seiner glatten Seite nach außen zeigt.
Von den 22 Seiten dieses Adressbüchleins sind auf 16 Seiten 29 Namen und Adressen von Häftlingen des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück aus acht verschiedenen europäischen Ländern eingetragen.
Bevor ich aber auf Einzelheiten des Adressbüchleins eingehe, möchte ich etwas über den Nachlass sagen, in dem sich dieses Objekt unter vielen anderen interessanten Dokumenten befindet.
In den letzten Dezembertagen des Jahres 2014, also vor knapp einem Jahr übergab Tanja Star-Bushmann im Namen der weit verzweigten Familie den Nachlass ihrer Tante Johanna Charlotte Carolina Röell an die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Er besteht aus einer Vielzahl von Briefen und Dokumenten aus der Zeit vor ihrer Verhaftung, aber auch – und das macht den Nachlass besonders interessant – aus der Haftzeit in Ravensbrück. Lagerinterne Briefkorrespondenz, ein Heft mit Spanischvokabeln und Grammatikübungen sind ebenso erhalten wie Kochrezepte, weitere Namenslisten und eine Revierkarte. Sehr wertvoll sind einige Dokumente auch wegen des Papiers, auf dem sie geschrieben wurden: Es sind zum Teil ausgefüllte Lohnzettel der Zeitlohnerfassung der Firma Siemens. Dies sind die ersten Dokumente, die beweisen, dass die Firma Siemens in ihrer Fertigungsstelle in Ravensbrück dieselbe Zeitlohnerfassung durchgeführt hat wie in den zivilen Betrieben – mit dem Unterschied, dass den Häftlingen der errechnete Lohn nie ausgezahlt wurde.
Der umfangreiche Nachlass aus 75 Objekten ist bisher nur grob gesichtet. Er befindet sich aber in einem teilweise so kritischen Zustand, dass manche Dokumente noch nicht einmal kopiert oder eingescannt werden können. Deshalb will ich das Adressbüchlein hier nur exemplarisch für den ganzen Nachlass vorstellen.
Ein paar Worte zur Nachlassgeberin Johanna Charlotte Carolina Röell (genannt Lot Röell)
Lot Röell war beim Überfall der Deutschen auf die Niederlande im Ausland und wurde 1941 mehrere Monate als Agentin der „Special Operations Executive“ (S.O.E.) in England ausgebildet. Die Aufgaben der SOE bestanden in Sabotageaktionen hinter den feindlichen Linien sowie in der Unterstützung und Versorgung von lokalen Widerstandsbewegungen. Röell reiste über Spanien und Deutschland in die besetzten Niederlande ein.
Über die Festnahme von Frau Röell gibt es bisher keine genauen Angaben, sie wurde über das Polizeigefängnis Scheveningen nach Ravensbrück gebracht und dort am 14. August 1942 registriert. Sie erhielt den roten Winkel für Politische Häftlinge, die Häftlingsnummer 13070 und wurde in die Baracke 32 der sog. Nacht-und-Nebel-Häftlinge eingewiesen. 1)Nach dem Nacht-Und Nebel-Erlass vom Dezember 1941 wurden rund 7.000 des Widerstands verdächtige Personen aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Norwegen nach Deutschland verschleppt und dort heimlich abgeurteilt oder ohne Aburteilung in Haft behalten, ohne dass die Angehörigen irgendwelche Auskünfte erhielten. Ihr spurloses Verschwinden diente der Abschreckung.
Ab November 1944 musste Lot Röell im Siemenskommando in der Fertigungsstelle Ravensbrück Zwangsarbeit leisten. Ab Dezember 1944 war sie in den neu errichteten Siemens-Wohnbaracken untergebracht.
Am 24. April 1945 wird sie mit anderen niederländischen und französischen Häftlingen mit den weißen Bussen des schwedischen Roten Kreuzes über Dänemark nach Schweden gebracht.
Nun zu dem Adressbüchlein:
Rückseite aufgeklappt
Der Entstehungszeitpunkt des Büchleins ist nicht ersichtlich. Wir können aber davon ausgehen, dass es im Lager und auf der Fahrt nach Schweden entstanden ist. Das Sandpapier des Einbandes spricht dafür, dass es im Siemenslager hergestellt wurde. Bei der Fertigung bei Siemens fanden Schleifpapiere Anwendung. Von den 26 Frauen waren nach jetzigem Stand der Nachforschungen 11 zusammen mit Frau Röell im sogenannten Siemenskommando beschäftigt.
Wir werden nun einen Teil dieses Büchleins gemeinsam durchblättern und ich werde zu einigen der Namen ein paar Hintergrundinformationen geben:
Links sieht man die raue Sandpapierseite.
Marie Moldenhawer aus Warschau und Nadja Popowa aus Dnepropetrowsk.
Links Maria Helsen aus Antwerpen (über Schweden befreit) und Lea Voorn aus Amsterdam.
Rechts Emma Gschames aus Graz (Siemenskommando) und Hilde Sternberg-Sitte (Siemenskommando, befreit über Schweden) und Betty Veerman aus Amsterdam.
Anni Vavak gebürtige Slovakin aus Österreich. Wichtigster Funktionshäftling in der Verwaltung der Siemensproduktion. Wird von vielen Mithäftlingen immer wieder positiv beschrieben.
Die Norwegerin Sigrid Lund aus Oslo und Dolly Müller aus Düsseldorf.
Eine weitere Norwegerin aus dem Widerstand gegen die deutsche Besetzung. Silvia Salvesen hat schon 1958 ihre Erinnerungen in einem Buch:“Forgive-but not forget“ niedergeschrieben.
Carlotte Jeantet gibt die chilenische Botschaft in Paris als ihre Adresse an.
Kläre Rupp kam mit einem der ersten Transporte im Mai 1939 in das neu errichtete Frauen-KZ . Sie war eine deutsche Kommunistin, in Ravensbrück u.a. bei Siemens bis Ende April 1945.
Denise Cernau aus Paris wurde zusammen mit Mademoiselle (Germaine) Tillion und Anise Postel-Vinay nach Mauthausen überstellt und über die Schweiz vom Roten Kreuz befreit. Germaine Tillion gibt ihre Arbeitsstelle „musée de l`homme“als Adresse an.
Die beiden Polinnen Wanda Pałȩcka und Rut Zakrewska aus Polen.
Bep Nossent aus Rotterdam war ebenfalls im Siemenskommando, Hilde Sternberg-Sitte hat sich ein zweites Mal eingetragen.
Nelia Epken brauchte mehr Platz für ihre Eintragung.
Von Nel Beuzemaker-Appel, der Schwägerin von Noen Beuzemaker und Ehefrau von Ko Beuzemaker, der 1944 in den Niederlanden hingerichtet wurde, ist eine interessante Korrespondenz mit der Luxemburgerin Yvonne Useldinger bekannt, in der sie sich kritisch zu einem Bericht von Rita Sprengel zur Sabotage bei Siemens äußert.
Es folgen noch acht weitere Eintragungen, zu denen zusätzliche Nachforschungen nötig sind.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen die Bedeutung dieses winzigen Buches mit meinen Erläuterungen nahebringen.
Weitere Beispiele aus dem Nachlass
Zwei weitere Abbildungen aus dem Nachlass möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Es handelt sich um Kochrezepte, die im Lager ausgetauscht wurden. Dies ist ein häufig beobachtetes Phänomen in Ravensbrück gewesen. Unter dem quälenden Hunger im Lager wurden virtuelle Menüs zusammengestellt, die aufgeschrieben oder weitererzählt wurden.
zweites Menue:
Hors d` oevres
Filée de sole avec sauce á la crème au crevettes. (Seezungenfilet mit Crevettensauce)
Lapin cuit dans marinade + p.(omme) de terres á l´Anglais (in Marinade geschmortes Kaninchen mit Kartoffeln nach englischer Art)
Bifteck + endives braises (Beefsteak mit gedünstetem Chicorée)
Salade – Fromage –Crème au Kirsch+ gateau (Kuchen)
Bild 15 Rückseite eines Briefes
Der vorhin schon erwähnte Lohnzettel, auf dem mehrere Briefe geschrieben wurden. Im oberen Oval kann man unter Fertigungsstelle „Rav“ für Ravensbrück erkennen, im unteren Oval steht Zeitlohn und das Signet für Siemens-Halske.
Restaurierungsbedarf:
Adressbuch: Trockenreinigung, Entsäuerung, Knicke glätten, Heftung stabilisieren, evtl. Blattrandstabilisierung.
Andere Dokumente müssen mit Japanpapier stabilisiert werden, Fehlstellen mit Fasermaterial ergänzt werden und vieles mehr.
Der Nachlass von Lot Röell ist nur einer von vielen Nachlässen, die der Mahn- und Gedenkstätte übergeben wurden und werden. Im Archiv der Gedenkstätte befinden sich Teil-Nachlässe sowie Einzeldokumente und Fotos von 195 Personen. Sie wurden sowohl von den Zeitzeuginnen selbst, als auch von ihren Angehörigen abgegeben.
Der Erhalt, aber auch die Aufarbeitung und Auswertung dieser Nachlässe wird die Gedenkstätte noch lange beschäftigen und hohe Kosten verursachen. Deshalb bitte ich Sie, für die Erhaltung der vorgestellten und weiterer wertvoller Objekte heute wieder beherzt zu spenden.
Referenzen:
1 | Nach dem Nacht-Und Nebel-Erlass vom Dezember 1941 wurden rund 7.000 des Widerstands verdächtige Personen aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Norwegen nach Deutschland verschleppt und dort heimlich abgeurteilt oder ohne Aburteilung in Haft behalten, ohne dass die Angehörigen irgendwelche Auskünfte erhielten. Ihr spurloses Verschwinden diente der Abschreckung. |
---|