Benefizveranstaltung am 15.12.2016 in der Botschaft der Tschechischen Republik in Berlin
Vorstellung des Sammlungsgegenstandes durch Dr. Peter Plieninger:
Das Taschentuch der Milena Jesenska
Kunstgegenstände auch Artefakte genannt, fungierten im Lager als Tauschobjekt, Geschenk oder als Erinnerungsobjekt. Die Kunsthistorikerin Michaela Haibl beschreibt es so: „Artefakte erzählen von Widerständigkeit und Resistenz, aber auch von Kommunikationswegen und Netzwerken, von kulturellen (Alltags-)Praktiken und von „Begegnungen, Freundschaftsspuren, Gewaltbeziehungen, Zwangsbeziehungen, Nähe und Distanz“ in den Konzentrationslagern. (Haibl 2008, 10)
Eine von diesen Artefakten mit einem direkten Bezug auf unseren heutigen Abend will ich Ihnen nun präsentieren:
Das Taschentuch der Milena Jesenská
Zu Milena Jesenská ist heute schon viel gesagt worden. Ich werde deshalb nur einige Stellen aus einer Veröffentlichung ihrer Freundin Margarete Buber –Neumann zitieren, die in direktem Zusammenhang mit dem Gegenstand steht, um den es heute Abend geht:
Das altrosa Tuch mit weißen Ornamenten hat eine Größe von etwa 21×21 cm. In einer Ecke ist die Ziffer 4714 eingestickt. Darüber kann man eine Stopfstelle sehen.
Das Taschentuch wurde auf Initiative von Margarete Buber-Neumann von tschechischen Mithäftlingen angefertigt. Der Stoff stammte wahrscheinlich aus den Textilbetrieben des Lagers. In einer Ecke wurde die Lagernummer von Milena eingestickt. Die Mithäftlinge schenkten Milena das Tuch zu ihrem Geburtstag am 10. August 1943. Margarete Buber Neumann schreibt dazu:
„Am 10 August 1943 erlebte Milena eine Huldigung ihrer tschechischen Freundinnen. So als hätten sie geahnt, dass es ihr letzter Geburtstag sein würde, veranstalteten sie eine richtige Feier. Unter allen nur denkbaren Vorsichtsmaßnahmen wurde im Dienstzimmer einer Baracke, der eine tschechische Blockälteste vorstand, der Tisch mit Geschenken gedeckt. Alle, die sie liebten, waren versammelt: Anicka Kvapilová, Tomy Kleinerová, Nina[Jírsiková], die Tänzerin, Milena Fischerová, die Schriftstellerin, Hanna Feierabendová, Manja Opocenská, Manja Svediková, Bertel Schindlerová und andere, deren Namen ich vergessen habe. Man holte das Geburtstagskind und sie trat vor den Tisch mit den zärtlichen Gaben: Kleine Tüchlein mit eingestickter Häftlingsnummer, winzige Stoffherzchen, die den Namen ‚Milena‘ trugen, kleine Figuren, aus Stielen von Zahnbürsten geschnitzt, und…Blumen, die man ins Lager geschmuggelt hatte.“ 1)Margarete Buber Neumann: Milena Jesenská: „Sterben allein ist zu wenig“. München 2001, S. 288/89.
Margarete Buber -Neumann beschreibt an einem anderem Ort, wie sie Gladiolen aus der Gärtnerei unter ihren Kleidern ins Lager brachte.
Milena, die schon sehr krank war und zu schwach zum freundschaftlichen Kontakt mit vielen Menschen, sagte zu Tränen gerührt: „Ist das eine Überraschung! Und da dachte ich schon, ihr alle wäret nicht mehr meine Freunde, hättet mich vergessen. Verzeiht meine Lieben, wenn ich so selten zu euch kam. Aber von jetzt ab wird es wieder besser mit mir.“ 2)Margarete Buber Neumann: Milena Jesenská: „Sterben allein ist zu wenig“. München 2001, S.
Ein weiteres Zitat von Margarete Buber-Neumann zum Ansehen von Milena im Lager:
“Obgleich sie genauso uniformiert war wie alle anderen, verbreitete sie in dem Gewimmel der tausenden von Gestreiften auf der Lagerstrasse eine Leere um sich, war herausgehoben, man blickte auf sie. Das alles hätte zur Ablehnung reizen müssen. Doch das Gegenteil geschah. Ich spreche hier nicht von den vielen, die Milena in Freundschaft zugetan waren, sondern von der öffentlichen Meinung des Lagers, wenn man das so nennen kann. Häftlinge verliehen ihr schmeichelhafte Zunamen. Milena trug die Gefangenennummer 4714 am Ärmel. Die Mithäftlinge nannten sie 4711, wie das Kölner Wasser. Mit ihrem Familiennamen hieß Milena ‚Krejcarova‘ Man rief sie auf Block 1 ‚Zarewa‘ also ‚Herrscherin‘. Diese kleinen Beispiele sprechen für ihre Wirkung auf die Lageröffentlichkeit.“ 3)Margarete Buber Neumann: Milena Jesenská: „Sterben allein ist zu wenig“. München 2001, S. 223/224.
Nach dem Krieg bewahrte Margarete B-N. eines der Taschentücher auf und übergab es am 13. August 1986 in Paris an Anise Postel-Vinay. Diese übergab dann das Taschentuch an die ehemalige Gefangene von Theresienstadt und Auschwitz Anna Hyndraková, die es in die die damalige Tschechoslovakei mitnahm. Frau Hyndraková gab das Tuch an die Jesenská-Biografin Marie Jiraskova. Frau Jiraskova vermachte das Exponat anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Vergessene Vernichtung? Polnische und tschechische Intelligenz in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück zu Beginn des Zweiten Weltkrieges“ im September 2009 der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
Auf diesem langen Weg ist das Tuch hierher gelangt und es ist dabei auch alt geworden.
Es weist braune Verschmutzungen auf, hat an zwei Stellen Löcher und verschiedene Klebereste.
Die Restaurierung wird in einer Größenordnung von 500 Euro liegen. Falls die Spenden heute diesen Betrag übersteigen, was ich hoffe, im Archiv der Gedenkstätte befinden sich noch Nachlässe sowie Einzeldokumente und Fotos von 195 Personen.
Der Erhalt, aber auch die Aufarbeitung und Auswertung dieser Nachlässe wird die Gedenkstätte noch lange beschäftigen und wird hohe Kosten verursachen. Deshalb bitte ich Sie, für die Erhaltung des vorgestellten und weiterer wertvoller Objekte heute beherzt spenden.
Referenzen:
1 | Margarete Buber Neumann: Milena Jesenská: „Sterben allein ist zu wenig“. München 2001, S. 288/89. |
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2 | Margarete Buber Neumann: Milena Jesenská: „Sterben allein ist zu wenig“. München 2001, S. |
3 | Margarete Buber Neumann: Milena Jesenská: „Sterben allein ist zu wenig“. München 2001, S. 223/224. |